Norbert Schrader- Leben in Bewegung

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„Personal Pantheon“

Norbert Schrader

Leben in Bewegung

Zur Malerei von Andrea Harborth

Die neuesten malerischen Arbeiten Andrea Harborths zeigen Menschen bei der Gymnastik im Freien, im Lauf, beim Fahrradfahren, beim Putzen. Sie zeigen auch Objekte des täglichen Lebens oder Tiere. Die Gegenstände und Situationen scheinen alltäglich und ohne Belang. Sie verweisen nicht auf Sujets der Kunsttradition. Entschieden banal gewählte Bildtitel suggerieren Nebensächlichkeit; einige ironisch-
gespreizte Titel relativieren manche Bildthemen.

Dehnen an der Spree, 150×90 cm, Eitempera etc.

Die Darstellung ist nicht naturalistisch. So tragen die menschlichen Figuren keine individuellen Züge. Die Bilder – zwar oft mit biographischem Bezug – erzählen auch nicht Geschichten mit einem Vorher oder Nachher. Es sind vielmehr Figurationen des Augenblicks – des Augenblicks einer Bewegung oder eines Ruhens im Raum. Dieser kann natürlich sein oder urban, auch ein Interieur. Der Blick liegt konzentriert auf einem Gegenstand, der meist die Mitte des Bildes einnimmt, ja, es fast ganz ausfüllt. Das gibt ihm sein Gewicht, seine Bedeutung.

Die Farben sind meist wenig gedämpft, manchmal leuchtend. Der Strich lässt den Schwung der Pinselführung spüren. In beidem, Farbe und Zeichnung, gewinnen viele Figuren Plastizität und eine frappierende Körperlichkeit; andere bleiben schwarz umrissen und flächig. Stets strahlen sie eine Dynamik und Energie, gelegentlich auch ein selbstgenügsames Insichruhen aus. Bei den körperhaftesten Formen gelingt es Andrea Harborth, die Einmaligkeit des Augenblicks zu verdichten und den Figuren eine Tiefe zu geben, in der seltsam anrührend zugleich ihre Alltäglichkeit wie ihre Fremdheit und ihr Geheimnis aufscheinen.

Wie anders wirken auf den ersten Blick diese Arbeiten gegenüber früheren Werken aus den 1980er/90er Jahren:

blumen-drehbild, Eitempera/Nessel, wahrscheinlich so 130 x 170 cm, Eitempera-Malerei, gegenständliche Malerei
wahrscheinlich so 130 x 170 cm

oft große Formate, die Farben meist stark gedämpft, durch vielfache pastose Übermalungen vermischt und dunkel, Farbflächen dank Nuancen lebendig, die Gegenstände in Spuren, Umrissen, auch in breiten, mal tonig abgestuften, mal kon-strastierenden Farbstrichen oder in Aussparungen nur angedeutet.

Die Bilder lassen Gegenstände, meist einfache, bedeutsame Dinge oder Konstellationen von Figuren mehr ahnen als deutlich sehen: Blumen in einer Vase, ein Fisch auf dem Teller, Mutter und Kind, einen Mann, ein Fenster.

Über diese Arbeiten sagte der Philosoph Claus-Artur Scheier in einem Katalogtext (Bilder und Zeichnungen, Braunschweig 1991): „Keine nature morte, aber ein stilles Leben: Werden der Farben aus dem versammelten Dunkeln, Entstehen der Dinge aus ihren Möglichkeiten. … Das Dunkle, die Intensität der Möglichkeiten – die Möglichkeit – findet als solche zur Gestalt.“

Dagegen lässt Andrea Harborth in ihren neuen Werken das bewegte Leben im Licht Gestalt werden.

Was jene frühen Werke mit den heutigen verbindet, ist die Bedeutung der Gegenstände, der Figuren.

Mann in der U-Bahn, 145×95 cm, Eitempera etc

Kamen sie früher als Möglichkeiten aus dem dunklen Farbraum hervor, so erstehen sie heute in hellen Farben in ihrer Lebenswirklichkeit:

Figuren mit einem Körper, in ihrer Welt, in Aktion – in Momenten, in denen sie ganz bei sich scheinen.
Sie wirken, als hätten sie in dem Augenblick ihr wesentliches Sein gefunden.